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Erik Göngrich, Michael Schultze I Double Elegance / Walter Benjamin reist nach Capri und verliebt sich


  • Ehemalige Polizeiinspektion 5 Kaspar-Aiblinger-Platz Wasserburg am Inn, BY, 83512 Deutschland (Karte)

AK 68 Wasserburg 2025

„Das Minol Haus – The Nude Sculpture Case“ hieß 2015 eine gemeinsame Ausstellung der beiden Berliner Künstler Erik Göngrich und Michael Schultze (Ort: Projektraum Téte anlässlich der Berliner Art Week, Kuratorin: Mari-Jose Ourtilane). Diese beruhte damals auf dem Prinzip des nicht-identischen, des Gegensatzes und der Unvereinbarkeit. 

Auch die geplante Ausstellung in der Polizeistation in Wasserburg ist von der Lust auf der Konfrontation von Unvereinbarem oder sich Ergänzendem bestimmt. (Kurator*in: Arbeitskreis - AK 68 Wasserburg).

Das zentrale Interesse beider Künstler gilt dem Phänomen des Reproduzierten mit seinem Gegensatz von „Original“ und dem Vervielfältigtem. Dies können reproduzierte Bilder sein, wie in Michael Schultzes Arbeit mit dem Holzschnitt oder Erik Göngrichs fotografische Sammlung gefundener Skulpturen und sein groß angelegtes Recyclingprojekt in der von ihm initiierten „Mitkunstzentrale“.

Michael Schultze interessiert die Reproduktion in ihrem paradoxen Bezug zum zentralen Paradigma der Moderne, dem Neuen. So behandeln seine aktuellen Holzschnitte dieses Verhältnis über eine Befragung des Reproduzierten in seiner jüngsten Erscheinung in Gestalt der Künstlichen Intelligenz. 

Erik Göngrich befasst sich ebenfalls mit der Reproduktion, wobei sein Fokus auf massenhaft hergestellten Objekten und Werkstoffen oder historisch „falsch“ gelesenen Dingen liegt. Ein zentraler Begriff in Göngrichs Arbeit ist der des "Originals". Eine exemplarische Arbeit, betitelt "Double Elegance", verdeutlicht dies.

Erik Göngrich: Double Elegance, 2019-2024

Im Rahmen seines Aufenthalts in der Villa Massimo in Rom im Jahr 2018-19 stieß der Künstler auf afrikanische Wax Prints, die auf einem Markt in der Nähe der Station Termini als Meterware verkauft wurden. Aus diesen Stoffen ließ er sich mehrere Anzüge anfertigen. Sein Interesse galt dabei einem historischen Glitch in der Entwicklung der allgemein als afrikanisch gelesenen Stoffmuster. 

Stoffe in der Technik der javanischen Wachsbatik sind hauptsächlich in Westafrika verbreitet. Der Ursprung der Wachsbatik oder Wachsreservefärbetechnik inklusive Ihrer spezifischen Ornamentik kommt aus Java, dem heutigen Indonesien. Schon zu Beginn ihrer Kolonialherrschaft brachten die Holländer von ihren dortigen Kolonien die Technik und die Ornamentik des javanischen Wachsdrucks in die Niederlande. Hier wurde die Technik der Wachsbatik in den dortigen Manufakturen semi-industriell genutzt, um diese Stoffe wiederum in die Kolonien in Indonesien zu liefern und den kolonisierten zu verkaufen - eine double-win Situation für die Kolonialherren, etablierten sie doch auch einen Markt für ihre Produkte.

Mitte bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts veränderte sich der europäische Textilhandel in Afrika. Die niederländischen Textilhersteller begannen mit der nun günstiger zu produzierenden industriellen Herstellung von Wachsdruckimitationen. Dank der Erfindung des Rollendrucks war es möglich, den Batik-Look viel weniger arbeitsintensiv nachzubilden. Als die Niederländer in Indonesien nicht genug Absatz für ihre Batikimitationen fanden, schickten sie die Textilien nach Westafrika, wo sie einen sehr profitablen Markt für die mit javanischen Mustern bedruckten Stoffe fanden. Die Muster und Farbigkeit veränderten sich im Lauf der Zeit, lokale afrikanische Ornamente und Symbole speisen sich in die Produktion der Stoffe ein, und hybridisierten die vermeintlich traditionellen Wax Prints. 

Dieses Beispiel soll die komplexe Praxis Erik Göngrichs illustrieren helfen. Seine künstlerische Untersuchungen versuchen die Frage nach dem Original so zu stellen: Alles jeweilig Zeitgenössische, seien es Objekte oder Theorien, ist immer schon approbiert, beeinflusst und hybride. Die Geschichte des Kolonialismus, untrennbar verbunden mit der europäischen Geschichte, zeigt uns, dass der Begriff des Originals, so hoch geschätzt er von westlicher (Kunst-) Geschichtsschreibung ist, sich nur als ein immer schon von vielfältigen Kapital- und Herrschaftsströmen durchsetzter zu begreifen ist. So wandern künstlerische Formen und Techniken, in Warenform, auf den Kriegsrouten, den Söldner- und Sklavenrouten, verändern sich auf diesen Wegen und bieten sich dann als neu und Originär an. Original, ein Begriff der auch in anderen Arbeiten Göngrichs auftaucht, ist nur die spezifische Art der Aneignung, und idealerweise die gegenseitige Fremdheitserfahrung, die in seine Arbeiten und Performances aufblitzt.

Michael Schultze, Walter Benjamin reist nach Capri und verliebt sich, 2024

Kein „Original“ hingegen besitzen die Bilder die Michael Schultze in seiner jüngsten Serie von Holzschnitten erstellt. Betitelt „Walter Benjamin reist nach Capri und verliebt sich“ untersucht der Künstler die Möglichkeiten welche das erste Medium der Revolution reproduzierter Bilder, der Holzschnitt, heute birgt. Als der Holzschnitt im 14. Jahrhundert in Europa aufkam leitete er eine Medienrevolution ein, die die damalige Welt erschütterte. Das Bild der Welt wurde reproduzierbar. Die Kommunikation durch Bilder katapultierte die mittelalterliche Welt in die Neuzeit. Der Holzschnitt war ein Katalysator, für die beginnende Neuzeit vergleichbar der Bedeutung des Internets für eine heutige globalisierte Welt.

Der Holzschnitt ist binär, er kennt keine Grautöne. Er verschlankt und reduziert die Komplexität des Dargestellten. Sein Stoff, das Motiv, wird ergänzt durch das Eigenrauschen des Mediums, das sich im Widerstand des Materials, in den Stichelspuren, die immer negativ, als Weißraum auf dem abgezogenen Blatt erscheinen, manifestiert. Als Urahn des Holzschnittes könnte man die abgedruckten Hände, die in steinzeitlichen Höhlen zu finden sind werten. So ist der Holzschnitt unmittelbarste Spur und Zeugnis des nackten Lebens, wie Darstellung der Soziabilität des Menschen.

Die Spuren, die Michael Schultze in das Holz schneidet, entstehen durch die Befragung des Orakels unserer Zeit, der so genannten künstlichen Intelligenz. Kurze, an Japanische Haikus gemahnende Kurzprosa wie das titelgebende „Walter Benjamin reist nach Capri und verliebt sich“ werden der Wahrscheinlichkeitsmaschine der bildgebenden KI als Input überlassen. Die von der KI generierten Bilder schneidet der Künstler anschließend in Holz, wobei hier Auslassungen, Übertragungsfehler oder bewusste Änderungen Teil des Spiels mit den vom Algorithmus geschöpften Bildern sind. Diese entstehen ja aus einer nahezu unerschöpflichen Quelle historischen Materials und errechnen sich aus den Ergebnissen die der Algorithmus für am wahrscheinlichsten hält. Die Bilder der KI sind auf eine eigentümliche Art Originale, da jede erneute Befragung dieses modernen Orakels ein gänzlich neues, anderes Bild hervorbringt. Der gesamte Vorgang der Nutzung der KI ist im strengen Sinne Magie, bei dem mittels eines schlichten Satzes, dem sogenannten Prompt der in die Black Box eingegeben wird,) ein Bild erzeugt wird. Ein Zauberspruch schafft ohne Mühen - und auch ohne sonstiges händisches Zutun – aus dem Jenseits aller gewesenen Bilder ein gänzlich neues, so noch nicht gesehenes. Zauberei, fürwahr. Magie. In den so geschaffenen Holzschnitten dient Walter Benjamin dem Künstler als Motiv wie Zeuge, war der deutsche Philosoph, Essayist und Kulturtheoretiker doch einer der profundesten Denker der Auswirkungen welche die Reproduktion - und distribuierende Medien wie Magazine und das Radio - auf die Moderne hatte.

In ihrer gemeinsamen Ausstellung im AK 68 Wasserburg wollen Erik Göngrich und Michael Schultze versuchen all die oben angerissenen losen Fäden ihrer jeweiligen Auseinandersetzungen miteinander zu verweben. Von der Beschäftigung mit der Reproduktion über eine Faszination für die Metapher des Lichts, dem Interesse an Ausrangiertem, zu historischen Brüchen soll ein Netz gesponnen werden das letztlich mündet in die Frage nach Recycling als künstlerische Praxis, nach dem Neuen im Alten. Denn Bilder täuschen, und wir wollen von Bildern getäuscht werden.

Michael Laurent und Erik Göngrich 2024

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18. Januar

Grenzlinien I Projekt 8_ Anni Rieck, John Schmitz & Carmen Kordas